Wie alles begann und ich wurde, was ich bin.

3 Apr

Es war soweit.

Mein erster Tag im Krankenhaus.

Trotz meines jugendlichen Alters hatte ich mich entschieden, der Gesellschaft zu nutzen und in einem freiwilligen sozialen Jahr mindestens die Welt und auch ein Großteil meines Seelenheils zu retten.

Nicht, dass dies aufgrund meiner bereits erwähnten Jugend schon nötig gewesen wäre, aber ich wollte auf Nummer sicher gehen und meinen Platz im Himmel mit einem vorgewärmten Handtuch reservieren.

Von nun an würde ich also zu den Guten gehören. Zu denen, die gerne ins Krankenhaus gehen. Weil sie wissen, wo der Schlüssel zum Betäubungsmittelschrank ist.Und weil sie noch Arme haben um ihn zu benutzen.

Pünktlich um halb sechs stand ich hoch motiviert und gefühlt ausgeschlafen vorm Schwesternzimmer der Station 4,Kreiskrankenhaus,Abteilung Geriatrie.

Aufgeregt war ich nicht.

Ich war gut vorbereitet.

Die komplette Edition der Schwester Stefanie-Staffeln in der Goldsammlerbox mit Samteinschub und drei Jahre Emergency-Room Abhängigkeit sollte doch genügen um ausreichend auf den Krankenhausalltag vorbereitet zu sein.

Krankenschwestern sind friedlose, stets gut frisierte, geduldige Wesen, die vom Empfangstresen bis zum OP-Tisch alles perfekt im Griff haben, Kinder und Mitmenschen zu mehr Moral und Anstand erziehen und dies alles in strahlendem Weiß.

Ärzte sind gut aussehend, sexy, retten Leben mit links,während sie mit rechts der Schwester im Höschen fummeln.

Bevor ich anklopfte stellte ich mir also vor, wie ich gleich in einen Raum voll solcher Engel auf Erden treten und mit Freuden aufgenommen werden würde.

Wie sie da säßen in all ihrer Güte und reinlich gebügelten Kittelchen.

Ich setzte zum Klopfen an, um mich bemerkbar zu machen, da flog schon die Tür auf und mir fast vor die Stirn.

Nach hinten wankend versuchte ich durch wildes Hände rudern mein Gleichgewicht zu halten.

Ein stark behaarter Arm packte mich am Kragen und zog mich unmissverständlich auf die Beine und den Boden der Tatsachen zurück.

„Ey, immer schön nach vorne fallen, für Platzwunden am Hinterkopf haben wir hier keine Zeit!“

Noch kurz benebelt folgten meine Augen der tiefen sonoren Stimme von den weißen Gesundheitsschuhspitzen bis zum Schwabbelkinn und blieben auf dem Weg dorthin am quadratischen Namensschild hängen.

Schwester Ursel.

Ein Fels in der Brandung,drei Zentner menschgewordene Barmherzigkeit, ein ganzer Kerl dank Kölnisch Wasser.

Nachdem ich mich vorgestellt hatte, zerrte sie mich in einen kleinen dunklen Raum,maß meine Körperfülle abschätzig mit ein paar Blicken und reichte mir meine zukünftige Arbeitskleidung.

Hatte ich schon im kurzen weißen Kittel ohne Unterwäsche, leicht lasziv über den Visitenwagen gebeugt, die verlangenden Blicke des Stationsarztes auf mir gespürt,fand ich mich nun in einem blauen Kartoffelsack wieder.

Hose und Oberteil waren nur durch die Anzahl an Taschen zu unterscheiden. Ansonsten waren beide aus desinfizierbarer fester Baumwolle und im besten Falle von quadratischem Schnitt.

„Unisex.“ wie Berta nicht ohne ein zufriedenes Lächeln bemerkte.

Und erhältlich bis Gr.7, stellte ich mit zufriedenem Lächeln meinerseits fest.Vielleicht will man ja auch mal zelten.

Außerdem trug ich Gr.2. Platz nach oben. Immer gut.

Schon sollte es losgehen.

Leben retten, Menschen heilen, Heldin sein.

Dies war das Motto des Tages.

Berta zeigte auf Zimmer 3.

„Geh mal dahin. Schwester Trinh braucht sicher Hilfe.“

Behutsam klinkte ich die Tür zum Patientenzimmer auf.

In schummriges Licht getaucht erschien vor mir zunächst nur ein Bett,bedeckt mit einem Gewühl aus Kissen und Decken und sich mit der Liegefläche auf meiner Schulterhöhe befindend.

Erst bei genauerem Hinsehen,konnte ich im weißen Deckenwust ein menschliches Gesicht entdecken.

Eine alte Dame lag mit apathischem Ausdruck auf die Seite gedreht irgendwie teilnahmslos im Bett und schien mich nicht mal wirklich wahr zu nehmen.

„Hallo, ich bin die Neue und…“ konnte ich gerade so hervorbringen, da tauchte hinter der Patientin ein schwarzer Pagenschnitt auf. Dazugehörige Mandelaugen musterten mich eingehend.

„Ruhe, ich kann mich nicht konzentrat! Frau brauch Hilfe von alles, nix Stuhlgang, dritte Tag.“

Mit energischen Schritten trat Schwester Trinh hinter dem Deckenberg hervor. Ihre empor gehaltenen Hände, jeweils doppelt behandschuht ließen nichts Gutes ahnen.

„Muss ich digital ausräumen. Gib mir Creme.“

Während ich noch überlegte, was wohl hier das digitale bedeutete und was dann das analoge sei und WAS zum Teufel eigentlich ausgeräumt werden sollte, reichte ich Trinh wie in Trance den 2-Liter-Eimer Penatencreme.

„Jetzt nix bewegen, Frau, jaja, tut kurz unangenehm.“

Oh mein Gott.

Die Creme, die zwei Handschuhe, die Seitenlage.

„Nix Stuhlgang.“ hallte es dumpf in meinen Ohren.

Sie konnte doch nicht…Doch sie konnte.

Sie konnte und sie tat.

Der „Nix Stuhlgang“ von drei Tagen stapelte sich in Form kleiner brauner Murmeln auf der Einmalunterlage unter dem Po der guten Frau auf.

Schwester Trinh beförderte sie unter schamanischem Gemurmel und einem irren,verbissenen und gleichzeitig irgendwie glücklichen Gesichtsausdruck unaufhörlich dorthin.

(Später erfuhr ich, dass sie eigentlich Hebamme ist.)

Das Bild brannte sich wie Feuer in meine Netzhaut.

Und als Schwester Trinhs dunkler Schopf vollends hinter dem Berg aus Kotsteinen (so der Fachausdruck) verschwunden war,konnte ich nur denken:

„Herzlich Willkommen.Zum Jahr deines Lebens.“

5 Antworten to “Wie alles begann und ich wurde, was ich bin.”

  1. ps April 3, 2010 um 2:30 pm #

    ich bin ehrlich gesagt überrascht, dass sie sowas nicht in ihren praktikas etc hatten? ich kam sah derartige bilder im 3. praktikum, pflegeeinrichtung mit nur rollstuhlfahrern… und nicht nur einmal…

    seltsame sachen gibt es, hoffentlich bleiben sie weiter so motiviert..

  2. Boehler April 4, 2010 um 11:11 am #

    Respekt, Frau Hundertmark.

    Das SIE da nicht sofort wieder rückwärts hinausgegangen sind.

  3. Phillip Lahm April 13, 2010 um 5:48 pm #

    hey miss heesen!

    schön zu lesen, daß du deinen stil immer noch in dir hast – kein wunder, ist ja auch nicht alles brandneu, oder? 😉

    twitter dich nicht zu tode und bleib mit deinem ring nirgends hängen.

    take care!

  4. bloomymoolb Mai 12, 2010 um 1:30 pm #

    Du kannst ganz schön toll schreiben, weißte das?!

  5. Wuscheli90 Mai 27, 2010 um 8:54 am #

    Naja klingt ja alles noch harmlos, zumindestens für mich, die ihr freiwilliges soziales Jahr auf der gerontopsychiatrischen station einer Psychiatrie ableistet 🙂

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